So früh wie möglich miteinander reden

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Wer sich an die Ombudsstelle Alter und Behinderung, kurz OSAB, wendet, ist irgendwo angeeckt. Es kam zu einer Streitigkeit – oder zumindest einer Meinungsverschiedenheit – die bilateral nicht überbrückbar scheint.

Hier kommt Susanne Vincenz-Stauffacher ins Spiel. Sie ist Ombudsfrau für die Kantone St.Gallen, Appenzell Ausser- und Innerrhoden und bietet einen neutralen kostenlosen Rahmen um Probleme zu lösen, die entstehen, wenn Menschen im Alter Hilfe, Betreuung und Pflege brauchen. Situationen, die nicht einfach sind und oftmals ungeahnten Zündstoff bergen, wie die Ombudsfrau weiss.

Den Krach begraben

Ein Beispiel aus ihrem Alltag: Ein betagter Mann, dem sein Hund als letzter Begleiter im Leben geblieben war, hatte in ein Heim gezügelt. Dort wären eigentlich keine Tiere erlaubt, doch aus Mitgefühl wurden die Regeln gelockert und ein Auge zugedrückt – der Hund durfte mit. Schnell war allerdings klar, dass das Tier nicht stubenrein war. Die Einsicht des neuen Bewohners fehlte, er beschimpfte sogar Personal: «Ihr seid ja da, um zu reinigen.» Die Fronten verhärteten sich. Im gemeinsamen Gespräch bei der Ombudsfrau liess sich dann jedoch eine für alle akzeptable Lösung finden: Eine externe Person übernahm die Tierbetreuung, kam aber jeden Tag mit dem Vierbeiner zu Besuch ins Heim. Eine Vermittlung mit Happy End.

Bewohner gegen Heim

Den Hauptbrennpunkt macht die Ombudsfrau bei Senioren in Heimen aus, die unzufrieden mit der Pflegequalität sind. Doch auch die Einordnung in eine höhere Pflegestufe sorgt oft für rote Köpfe. Interessant ist, dass die Angehörigen leicht häufiger Hilfe erbeten, als die Betagten. «Wir scheinen uns nun als neutrale Lösungsfinder etabliert zu haben», merkt Vincenz erfreut an. Denn mittlerweile kommt beinahe die Hälfte der Anfragen für Gesprächsrunden von Heimleitungen.

Teilnahme ist freiwillig

Die Rolle der Ombudsfrau ist dabei nicht, Partei zu ergreifen, sondern einen Runden Tisch zu organisieren und zu schlichten. Sie ist also die Moderatorin, die eine vertrauliche und barrierefreie Basis zu Beilegung von Querelen bietet. Sie betont: «Das Angebot basiert auf Freiwilligkeit. Man kann jederzeit abbrechen.» Bislang seien alle ihrer Einladung gefolgt, resümiert Vincenz: «Ich staune selber, dass das immer wieder gelingt. Ich habe noch nie von einer Partei eine Absage erhalten. Vermutlich, weil alle Menschen das Bedürfnis haben, sich zu äussern. Sie suchen ein Gefäss, das mit der OSAB geboten wird. Hier treffen sich die verschiedenen Parteien, es wird über die Situation gesprochen und einander zugehört.»

Trotz der vorbelasteten Atmosphäre und den heiklen Themen, die aufs Tapet kommen, habe Vincenz noch nie eine bedrohliche Situation während einer Aussprache erlebt. Ihre lange Erfahrung, gepaart mit den richtigen Fragetechniken, helfe sowohl aufgeladene Situationen zu entschärfen, als auch einen anständigen Ton zu treffen: «Die Grundvoraussetzung für dieses Amt ist jedoch, dass man Menschen gern hat.»

Nicht jeder Streit ist ein Fall für die OSAB

Ein Phänomen, das Vincenz immer häufiger beobachtet, sind Privatpersonen, die gegen Behörden zu Felde ziehen. «Dafür gibt es keine Ombudsstelle», erklärt sie: «Wenn man mit Behörden im Clinch liegt, ist die OSAB nicht die richtige Stelle. Die OSAB bietet ausschliesslich Hilfe wenn es Krach zwischen einer Privatperson und einer Organisationen gibt. Darum ist auch ein Nachbarschaftsstreit kein Grund, die OSAB aufzusuchen.»

Keine Angst vor Konsequenzen

Besonders macht die Ombudsstelle, dass sie über keinen rechtlichen Hebel verfügt. Vincenz sieht dies als klaren Vorteil und Beitrag zur Senkung von Hemmschwellen. Denn niemand muss Angst vor Sanktionen haben. Nur bei einer klaren Gefährdung darf die Ombudsfrau Anzeige erstatten.

«Nicht immer kann Harmonie entstehen», bedauert Vincenz: «Manchmal ist auch die Trennung eine Lösung». So geben etwa Sterbehilfeorganisationen Anlass zu Reibungen. Nicht in allen Institutionen ist «Exit» erlaubt. Wenn sich jemand dennoch für einen geplanten Tod entscheidet, hilft oft nur ein Wechsel in ein toleranteres Heim.

Verhältnismässigkeit

Zum Thema Fingerspitzengefühl und Augenmass erzählt sie folgendes Erlebnis: Die Coronazeit war insbesondere für Demenzkranke in Heimen sehr herausfordernd. Oftmals konnten sie nicht verstehen, weshalb alle Masken tragen und niemand auf Besuch kommt. In einem Fall wollte eine noch vitale Rentnerin ein liebgewonnenes Ritual aufrecht erhalten: Sie hatte ihrem Ehemann täglich eine frisch geschnittene Blume ins Heim gebracht. Als sie diese nicht mehr selber überreichen durfte, gab sie das Pflänzlein beim Empfang ab, wo es für 48 Stunden in Quarantäne ging und welkte – eine Liebesbotschaft wurde Kompost. Am Runden Tisch entstand eine Auslegeordnung, wie rigide die Hygieneregeln eingehalten werden müssen.

Eine Erfolgsgeschichte

Beachtlich ist die Erfolgsquote der OSAB. Sie liegt bei über neunzig Prozent, wie der intern geführten Statistik entnommen werden kann. «Dass ein Streit längerfristig beigelegt werden kann, ist eine Teamleistung – das geht nur, wenn die Leute mitmachen», sagt Vincenz bescheiden und fährt fort: «Die OSAB bereitet lediglich das Feld vor, am Problem arbeiten müssen die Leute selber.» Da drängt sich die Frage auf, wie lässt es sich verhindern, dass eine Differenz sich gar nicht erst zum Streit auswächst? Die Ombudsfrau weiss Rat: «Nicht den Ärger in sich reinfressen. Reden miteinander, so früh wie möglich, kann vieles entschärfen. Wichtig ist auch, offen für Neues zu bleiben. Denn wenn der Zeitpunkt kommt und man Hilfe oder einen Platz im Heim braucht, muss man sich bewusst sein, dass sich das Leben verändert. Und das gilt auch für Angehörige. Sie müssen lernen, loszulassen.»

Kontakt: Ombudsstelle Alter und Behinderung der Kantone St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, Telefon 071 220 33 73 oder Mail an:

Matthias Bruelisauer

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