Ein Opfer erklärt, weshalb man Enkeltrickbetrügern auf den Leim kriecht.
«Enkeltrick», «falscher Polizist», «falscher Computer-Supporter», «falscher Sicherheitsdienst» und wie die Maschen alle heissen, haben in den Nachrichten Hochkonjunktur. «Das könnte mir nie passieren», denkt sich dabei wohl manch einer. Weit gefehlt! Niemand ist vor dieser Art Betrug gefeit. Die Täter gehen äusserst gut vorbereitet und professionell vor. Eine betroffene Ausserrhoderin, aus Diskretionsgründen seien hier keine Namen genannt, spricht im Interview über das Erlebte. Letztes Jahr wurde die damals 91-Jährige Opfer einer eiskalt agierenden Diebesbande. Die dreisten Gauner gaukelten der Seniorin vor, Polizisten zu sein und brachten sie damit um mehrere zehntausend Franken. Sie schockierten die Rentnerin mit einer frei erfundenen Geschichte über einen Unfall der Tochter, brachten sie dazu, eine stattliche Summe bei der Bank abzuheben und schliesslich zu Hause einem angeblichen Polizisten, der in Wirklichkeit nur ein Bote der Ganoven war, zu übergeben. Die Kantonspolizei hat ihre Ermittlungen rund um den Fall inzwischen eingestellt. Die Spur verliert sich in Polen, von dort kam der Anruf. Die Täter sind weg, das Geld ebenfalls.
Sie wurden Opfer der als «Enkeltrick» bekannt gewordenen Betrugsmasche. Wie konnte es dazu kommen?
Der Anfang allen Übels war mein Festnetz-Telefonbucheintrag, den ich mittlerweile löschen liess. In solchen Verzeichnissen suchen die Täter wahllos nach Namen, welche nach älteren Personen klingen.
Was für eine Geschichte wurde Ihnen am Telefon aufgetischt?
Beim Anruf hat im Hintergrund eine stark weinende Frau meine Tochter gespielt und die Täter stellten sich als Polizisten dar. Es wurde von einem schlimmen Unfall gesprochen, den meine Tochter verursacht habe, und zur Klärung müsse der Schaden schnell beglichen werden.
Haben Sie zu keiner Zeit Verdacht geschöpft?
Nein, erst später, als ich meinen Sohn anrief und er sagte, meine Tochter sei bei der Arbeit und überhaupt nicht mit einem Auto unterwegs. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Woran könnte man die Lügen der Gauner erkennen?
Die Täter hatten überhaupt keinen fremden Akzent und wirkten unverdächtig. Im Grunde hilft nur rationales Denken – auf einer Unfallstelle benötigt man nie Geld und schon gar nicht via Polizei. Die grosse Sorge, da ist nun einem meiner Kinder etwas passiert ist, lähmt dieses logische Denken.
Wie fühlten Sie sich während und nach der Tat?
Das verursacht einen gehörigen Stress und die Gedanken waren permanent bei meiner Tochter. Leider habe ich niemanden um Hilfe angerufen. Aber auch da hatten die Täter gemäss Polizei vorgesorgt und etwas Perfides eingefädelt: Beim Festnetzanschluss legten die Täter nicht auf, dadurch war der Apparat besetzt und die Betrüger wechselten das Gespräch zum Mobiltelefon. So konnte ich keine weiteren Anrufe mehr machen. Es gehörte zu ihrer Strategie, dass ich dauernd, also auch in der Bank, durch die Täter via Handy beobachtet werden konnte.
Ging bei Ihnen Vertrauen in die Gesellschaft verloren?
Nein, aber mein nächster Gang zur Bank hat mich enorme Überwindung gekostet. Zwei Monate lang haben mir meine Kinder Bargeld gegeben und erst danach schaffte ich es wieder. Die Bank ist mir heute fremd geworden und nur noch ein Ort für den Bargeldbezug.
Wie können Sie das Geschehene aufarbeiten?
Es braucht viel Zeit und ich hätte nicht gedacht, dass ein Jahr nicht ausreicht. Nicht darüber reden ist jedoch auch keine Lösung. Es gab etliche kurze Gespräche mit Bekannten, welche vom Vorfall wussten und dann darf man sich nicht schämen. Denn das Reden hilft, es zu verarbeiten.
Hat sich Ihr Leben verändert?
Man wird kritischer und ein zweites Mal wird es nicht mehr geben.
Wer konnte Hilfe bieten?
Das ausführliche Gespräch mit der echten Polizei, unmittelbar nach der Tat, hat sehr geholfen. Hier erfuhr ich auch Zuspruch und den Trost, dass alles eben höchst professionell abgelaufen ist. Sich einer solchen Situation mit klarem Kopf zu entziehen, ist nicht einfach.
Wie reagierte die Familie?
Keines meiner drei Kinder machte mir Vorwürfe. Das Leben geht weiter. Mein Sohn macht jedoch der Bank grosse Vorhalte, ihre Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. Der Fall wurde bei der Bank schnell ad acta gelegt und es folgte nie ein Wort des Bedauerns.
Was würden Sie heute anders machen?
Kritischer sein, Vorsichtsmassnahmen mit der Bank einleiten und keinen Telefonbucheintrag mehr verwenden.
Was raten Sie anderen Seniorinnen und Senioren?
Zweifel zulassen, wenn solch emotionale Geschichten passieren. Sofort mit den eigenen Kindern oder Nachbarn reden. Ich empfehle auch, Vorsichtsmassnahmen mit der Bank vorzunehmen. Der Bankautomat ist dabei nicht das Problem, sondern der Bankschalter, denn dort können grosse Beträge ausgehändigt werden. Mit manchen Banken kann man Limiten absprechen, welche einen Geldbezug am Schalter klar begrenzen.
Die Polizei gibt Tipps
Telefonbetrüger sind ideenreich, schlüpfen in unterschiedliche Rollen und passen sich der jeweiligen Situation sofort an. Die Rufnummer, welche auf dem Telefon angezeigt wird, sieht unverdächtig aus, ist aber laut Polizei in vielen Fällen manipuliert. Die Betrüger erzählen eine frei erfundene Geschichte, bei welcher dringend finanzielle Hilfe erforderlich ist. Durch einen angeblichen Verwandtschaftsgrad oder eine vermeintliche Freundschaft soll man sich verpflichtet fühlen, zu helfen. «Auch wenn Ihnen versprochen wird, dass Sie Ihre Vermögenswerte zurück erhalten: Sagen Sie nein, geben Sie nichts!», so der eindringliche Rat der Polizei auf der Seite telefonbetrug.ch. Weitere Tipps, wie man sich schützen kann sind: Telefonnummern aus dem eigenen Umfeld sollten gespeichert werden, dann muss man Anrufe von «Fremden» gar nicht erst annehmen. Wenn jemand anruft, der seinen Namen nicht von Anfang an nennt oder der nicht vollkommen davon überzeugen kann, wer er ist, muss man misstrauisch sein. Unter keinen Umständen soll man etwas von sich preisgeben, denn Betrüger nutzen gewonnene Informationen sofort aus. Es empfiehlt sich, Kontrollfragen zu stellen, wie etwa: Wann habe ich Geburtstag? Fremde können solche Fragen nicht beantworten. Bei Zweifeln soll der Anruf unterbrochen werden. Als wichtigsten Appell betont die Polizei: «Nehmen Sie Warnungen von Personen aus ihrem persönlichen Umfeld und von Bankangestellten ernst. Lassen Sie Unterstützung und Hilfe zu.»