«Jeder hat einen Clown in sich»

0 Shares

Estella ist Clownin. Sie heitert in Heimen auf und hat bei Sorgen ein offenes Ohr. Hinter ihrer roten Nase verbirgt sich Tanja Dörig.

Tanja Dörig ist von Natur aus gesprächig und quirlig. Eigenschaften, die ihr auch in der Rolle als Clown Estella zugutekommen. «Estella trägt ein Röckli, übergrosse Schuhe, ist eitel, mädchenhaft und hat eine rote Nase», beschreibt die 44-jährige Herisauerin die Figur. Sie ist eine Mischung aus Tollpatsch und Weissclown. «Ich bin kein Schenkelklopferclown, denn ein Clown hat für mich mehr Facetten, als alle zum Lachen bringen. Ein Clown kann auch poetisch oder philosophisch sein», erklärt die Clownfrau, die sich auf Besuche in Institutionen für Kinder und Erwachsene spezialisiert hat.

Feingefühl gefordert

Die Oberstufenlehrerin und Atemtrainerin hat ihre Leidenschaft entdeckt, als sie vor zehn Jahren Orientierung im Leben und Erfüllung suchte: «Ich wollte meiner eigenen Freude folgen und Neues entdecken.» Dörig absolvierte zwei Jahre Ausbildung um ihren eigenen Clown zu finden und zu erforschen. Sie ist überzeugt: «Jeder hat einen Clown in sich.» Man muss ihn nur zutage fördern. Ihrer kann reden wie ein Wasserfall, aber auch schweigen und zuhören. Besonders viel sagt Estella jedoch durch ihre Mimik und Gestik. Estella beherrscht ausserdem Kunststücke und Zaubertricks, die sie gerne in Interaktion mit dem Publikum präsentiert, was gelegentlich Nähe erfordert. «In Institutionen muss man äusserst achtsam sein und Vorwissen über die Bewohner und deren Eigenheiten haben. Nicht alle Menschen mögen zum Beispiel Berührungen. Die Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, ist eine Herausforderung», sagt Dörig. Gewiss ist, auch nur zuschauen, wenn ein Clown mit jemandem interagiert, kann sehr unterhaltsam und spannend sein.

Seine Sorgen abladen

Einen grossen Stellenwert bei Besuchen in Institutionen haben Lieder. Denn die Erfahrung der Clownfrau zeigt: Ältere Menschen singen gerne. In Verbindung mit Alltagsgegenständen aus vergangenen Zeiten lassen sich so Erinnerungen und Emotionen wecken. «Manche Menschen hingegen wollen einfach nur mit jemandem reden – und das darf auch mit einem Clown sein», sagt Dörig und ergänzt: «Einem Clown kann man seine Sorgen anvertrauen. Selbst ‹Tod› und ‹Clown› schliessen sich nicht aus, denn ein Clown wird sogar bei Sterbethemen zuhören – und aufheitern.» Doch wie kommuniziert man, wenn man nicht mit Worten in Kontakt treten kann? Diese Frage stellt sich oft bei Menschen mit Handicap oder starker Demenz. Die Antwort kommt schnell und ist überraschend einfach: «Mit Herz und Gefühl.»

Humor verändert sich

«Ich möchte ein Licht bringen, ein Lächeln ins Gesicht zaubern», beschreibt Dörig ihre Motivation. Weil: «Das Strahlen, das Leuchten in den Augen, sind die Geschenke, die ich mitnehme von meinen Besuchen.» Der Name «Estella», was «Stern» bedeutet, ist also Programm. Womit man das Publikum zum Lachen bringt, will dabei wohlüberlegt sein. Denn der Humor verändert sich im Lauf des Lebens. Als Beispiel nennt Dörig: Im Unterschied zu Erwachsenen, die das eher abstossend finden, ist es für Kinder urkomisch, wenn ein Clown furzen muss. Die Kleinen seien jedoch auch gnadenlos ehrlich und direkt, wenn sie keinen Gefallen am Gezeigten finden, so Dörig: «Kinder sind hoch anspruchsvoll. Die sagen dir ins Gesicht: Du bist gar nicht lustig.»

Die Kunst des Scheiterns

«Der Clown gibt mir die Möglichkeit, mich theatralisch auszudrücken ohne in einer Theatergruppe zu sein. Man entdeckt wieder das innere Kind und kann diesem freien Lauf lassen. Das ist eine heilsame Erfahrung», weiss die Spassmacherin. Die Qualitäten von Estella, ihre Leichtigkeit und Freude, in den Alltag einzubringen, bleibe ein Ziel, das sich ein Leben lang zu verfolgen lohne: «Ein Clown darf frech sein, er hat eine Freikarte um Grenzen zu überschreiten.» Der eigene Clown ist aber auch «die Kunst des Scheiterns». Dörig sagt dazu: «Scheitern ist nicht schlimm, es ist eine Erfahrung und bringt dich weiter. Bei Misserfolgen die innere Clownnase aufzusetzen, bereichert das Leben. Alles wird leichter, weniger tragisch, weniger ernst.» Da bleibt die Frage, was die Frau hinter der Schminke aufheitert? Sie erwidert: «Tanzen, singen, gute Gesellschaft und natürlich wenn ich Clown sein darf. Menschen erfreuen, sie zum Strahlen und Erblühen bringen, macht mir selber Freude.»

Matthias Bruelisauer

Jetzt Beitrag teilen: