Ein Lebensabend in Haft

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Immer mehr Menschen altern und sterben hinter Gittern. Die Haftanstalten und Gefangenen sind gefordert.

Die Infrastruktur und die Betreuung in Gefängnissen sind traditionellerweise nicht auf ältere und pflegebedürftige Verurteilte ausgerichtet. Der Alltag in den Anstalten stellt körperlich Schwache oftmals vor grosse Probleme – im Justizvollzug besteht Handlungsbedarf. So muss etwa vielerorts die bauliche Einrichtung angepasst werden, aber auch neue Betreuungskonzepte und Arbeitsprogramme wollen erstellt werden. Weiter müssen altersgerechte Mahlzeiten zubereitet werden, ganz zu schweigen von allfälligen Lockerungen im Vollzugsregime, die zu prüfen sind.

Prekäre Situation

«Mit einem Anteil von rund fünf Prozent bilden ältere Menschen im Justizvollzug eine Randerscheinung. Ihre Gesundheit ist aber prekär: Verglichen mit jüngeren Inhaftierten sind Senioren in ihrer funktionalen Gesundheit häufiger eingeschränkt und wegen Krankheiten in ärztlicher Behandlung», sagt Christoph Urwyler vom Schweizerischen Kompetenzzentrum für den Justizvollzug, kurz SKJV. Zudem sind ältere Personen in der Regel stärker sozial isoliert als jüngere und verfügen inner- und ausserhalb der Institution häufig über weniger Bezugspersonen.

Der Bestand an hilfs- und pflegebedürftigen älteren Männern und Frauen im Massnahmenvollzug wird weiter rasant ansteigen, analysieren das SKJV und das Bundesamt für Statistik unisono. Das Personal sei aber auf die Bedürfnisse von älteren Inhaftierten sensibilisiert und nehme sich mehr Zeit für ihre Betreuung, attestiert das SKJV in einem Bericht. Bei erhöhter Pflegebedürftigkeit würden die Einrichtungen indes an ihre Grenzen stossen. In solchen Fällen könnten, sofern die Sicherheit es zulässt, Spitäler, Kliniken oder forensische Heime die Pflege von gebrechlichen Senioren besser leisten.

Betreuung versus Sicherheit

«Wenn sich ein älterer Gefangener mit dem Rollator fortbewegen muss, nicht mehr selbst aus dem Bett steigen kann und Schwierigkeiten hat, sich im Haftalltag zurechtzufinden, gelangen die Vollzugseinrichtungen heute an ihre Grenzen. Angesichts steigender Zahlen von hilfs- und pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren im Freiheitsentzug sind Lösungen gefragt, die eine humane und adäquate Betreuung gewährleisten, ohne die Sicherheit des Personals und der Öffentlichkeit zu vernachlässigen», fasst Urwyler zusammen.  

Das PS-Magazin hat bei Urs Schindler, dem Leiter der Strafanstalt Gmünden in Niederteufen, und Barbara Looser, der Direktorin der Strafanstalt Saxerriet, nachgefragt, wie sie den Herausforderungen rund um pflegebedürftige Inhaftierte begegnen.

Wo und wie werden pflegebedürftige Häftlinge untergebracht?

Urs Schindler: Die Unterbringung von pflegebedürftigen Häftlingen wird, wenn der Platz vorhanden ist, in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) vollzogen, welche auch dafür eingerichtet ist. Die JVA Cazis Tignez in Graubünden hat zum Beispiel eine solche Abteilung gebaut.

Barbara Looser: Grundsätzlich entscheiden die Einweisungsbehörden über den Unterbringungsort von verurteilten Straftätern. Bei einer gebrechlichen Person wird vorgängig abgeklärt, in welchem Umfang die Person auf Unterstützung angewiesen ist und dann die Strafanstalt angefragt, ob die Aufnahme möglich ist. In der Strafanstalt Saxerriet handhaben wir dies so, dass wir bei solchen Anfragen unseren internen Gesundheitsdient einbeziehen, um dann die Entscheidung zu fällen, ob wir die notwendige Unterstützung gewähren können. Wir nehmen pflegebedürftige Personen auf, sofern sie ihre körperliche Grundversorgung noch zumindest teilweise selbst erledigen können. Personen, die auf eine Rundumpflege angewiesen sind, können wir nicht aufnehmen. In diesen Fällen muss die Einweisungsbehörde nach Alternativen suchen. Dies kann auch mal ein Pflegeheim sein.

Braucht es speziell geschulte Pflegende und besonders ausgebildetes medizinisches Personal?

Urs Schindler: Es kommt auf die Pflegestufe an. Es gibt Senioren, welche noch ganz «fit» sind und die «Gebrechlichkeit» in einem medizinisch vertretbaren Rahmen ist. In diesen Fällen wird die Betreuung durch unseren Anstaltsarzt sowie die Mitarbeiter im Gesundheits-, Betreuungs- und Sicherheitsdienst sichergestellt. Vor dem Eintritt wird durch die einweisende Behörde geprüft, ob die Person hafterstehungsfähig ist. In der Strafanstalt Gmünden haben wir zudem einen Spezialvollzug, in welchem Menschen mit besonderen Bedürfnissen ihre Haftstrafe absitzen oder auf eine Anschlusslösung in einem Massnahmenvollzugszentrum warten.  

Barbara Looser: Wir haben einen internen Gesundheitsdient mit ausgebildeten Pflegefachfrauen. Zudem werden wir in einer wöchentlichen Visite durch einen somatischen Arzt und eine Psychiaterin unterstützt.

Werden Vollzugsmassnahmen gelockert, wenn man gebrechlich ist?

Urs Schindler: Grundsätzlich hat jeder Gefangene eine Arbeitspflicht. Das schliesst auch Pensionierte oder IV-Empfänger mit ein. Im Vollzugsalltag wird individuell in Absprache mit dem behandelnden Anstaltsarzt geschaut, was im Bereich Arbeit geht und was nicht. Grundsätzlich gibt es jedoch keine Vollzugslockerungen im Tagesablauf.

Barbara Looser: Solange eine Person in eine Strafanstalt eingewiesen ist, gelten im Grundsatz die allgemeinen Regeln der Anstalt. Selbstverständlich nehmen wir Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse von gebrechlichen Personen, wie etwa durch die Abgabe eines Liftschlüssels, Zugang zu einem separaten Bad, angepassten Arbeitszeiten oder mit einem besonderen Arbeitsort. Zudem ist es möglich, dass wir für die Pflege die lokale Spitex einbeziehen.

Was für Hürden im Vollzugsalltag erleben körperlich Schwache?

Urs Schindler: Körperlich schwache Menschen sind vulnerabel bei der Anpassung an den Vollzugsalltag. Dies äussert sich im Bereich der psychischen Gesundheit und bei der Integration in die Gefangenengruppe, die aus vielen jungen Menschen besteht.

Barbara Looser: Der Alltag ist für gebrechliche Personen herausfordernder als für gesunde Inhaftierte. Da in einer Anstalt jedoch viele Unterstützungsangebote vorhanden sind, wie ein interner Gesundheitsdienst, Betreuungspersonen oder ein Sozialdienst, fühlen sich viele gebrechliche Personen im Strafvollzug fast besser aufgehoben als in der Gesellschaft.

Wie wird eine soziale Integration von Gebrechlichen in der Institution erreicht?

Urs Schindler: In der individuellen Vollzugsplanung wird eine Integration in die Gefangenengruppe als Ziel gesetzt, das mit Arbeit, Freizeit, Therapie und sozialem Lernen erreicht wird.

Barbara Looser: In unserem Programm zur Individualförderung können wir gebrechliche Personen in einer kleinen Gruppe beschäftigen. Dieses Programm wird mit sozialpädagogischen Ansätzen geführt. Die dort eingeteilten Personen erledigen einerseits einfache Industrie- und andererseits Kreativarbeiten. Zudem erleben wir oft, dass die anderen Inhaftierten sich um gebrechliche Personen kümmern und auf diese vermehrt Rücksicht nehmen.

Was für Anpassungen sind bei der Infrastruktur nötig?

Urs Schindler: Die Nasszellen müssen rollstuhlgängig sein und auch in der Zellengrösse sind Anpassungen nötig. Zudem muss die Möglichkeit bestehen, einen Lift benutzen zu können.

Barbara Looser: Wir haben aktuell eine rollstuhlgängige Zelle, sehen jedoch vor, drei weitere Zellen rollstuhlgängig auszubauen.

Sind Spitäler oder Heime allenfalls besser für die Unterbringung von alternden Häftlingen geeignet als Gefängnisse?

Urs Schindler: Es gibt Gefängnisse in der Schweiz, welche Abteilungen auf Senioren anpassen können, um den Zweck des Freiheitsentzugs gemäss dem allgemeinen Vollzugsziel, das im Strafgesetzbuch festgelegt ist, zu erreichen.

Barbara Looser: Wenn eine Person stark pflegebedürftig ist, ist eine Aufnahme in einer Strafanstalt schwierig. Für alternde Menschen, die zu einem grossen Teil noch mobil sind, spricht jedoch nichts gegen die Aufnahme in einer Strafanstalt. Gerade ältere Menschen berichten oft, dass es ihnen in der Anstalt fast besser gefällt als in einem Heim, da mehr läuft und sie auch unter jüngeren Menschen sind.

Matthias Bruelisauer

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