Diskriminierung macht auch vor dem Alter nicht Halt

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Seniorinnen und Senioren wollen ebenfalls selbstbestimmt leben, werden dabei aber oft benachteiligt. 

Das Wichtigste vorweg: Ungleichbehandlung von Jungen und Alten gibt es auch in Ausserrhoden. Sie zieht sich durch alle Lebensbereiche und wird meist nicht wahrgenommen – geschweige denn angesprochen. Maria Kaiser, Präsidentin des Verbandes für Seniorenfragen St.Gallen-Appenzell, stellte sich unseren Fragen zu diesem brennenden Thema. Ihre Antworten sind wahre Augenöffner.

Frau Kaiser, was versteht man unter «Altersdiskriminierung»?

Diskriminierend ist es, wenn Personen aufgrund ihres Alters und/oder ihrer Einschränkungen nicht oder nur begrenzt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und ihnen gewisse Leistungen vorenthalten werden.

Kennen Sie konkrete Beispiele?

In einigen Kantonen gibt es etwa für die Arbeit in Behörden, Kommissionen usw. eine Altersbeschränkung auf 70 Jahre. Des Weiteren ist ein Wechsel von Krankenkassen-Zusatzversicherungen nicht mehr möglich, nur die Grundversicherung kann gewechselt werden. Zudem müssen höhere Versicherungsprämien bezahlt werden. Auch Finanzinstitute vergeben Hypotheken nur noch mit verschärften Bedingungen. Ausserdem muss ab 75 Jahren alle zwei Jahre ein Attest für die Fahrtüchtigkeit eingeholt werden.

Das Problem geht aber noch tiefer. Wo fehlt in der Gesellschaft das Bewusstsein für Hürden im Alltag?

Jüngere Menschen können sich schwer vorstellen, wie es ist, wenn jemand wegen des fortgeschrittenen Alters oder gesundheitlichen Problemen eingeschränkt ist. Erst als selber Betroffene weiss man, wie es sich tatsächlich anfühlt. Versuchen Sie einmal, bei knappen Grünphasen mit einem Rollator die Strasse zu überqueren. Oder werfen Sie mit vom Alter geschwächten Armen einen Abfallsack in einen Unterflurbehälter, der vielfach zu hoch – und der Deckel zu schwer ist. Ein weiteres Beispiel ist die Digitalisierung: Natürlich hat Digitalisierung viele Vorteile, aber Seniorinnen und Senioren, die noch nicht mit Computern oder ähnlichem gearbeitet haben, tun sich schwer mit der neuen Technik und haben vielleicht kein Handy. Somit haben sie als Beispiel keinen Zugriff mehr auf Fahrpläne, weil diese nicht mehr gedruckt werden. Darüber hinaus können sie ihre Fahrkarte nicht digital lösen. Billette zu kaufen, wird für diese Menschen immer schwieriger, und es besteht die Gefahr der Vereinsamung im Alter. Vermehrt erfolgen auch amtliche Publikationen der Gemeinden nur noch über digitale Portale. Nicht alle älteren Leute verfügen über einen elektronischen Zugang. Sie alle haben aber den Anspruch, als Steuerzahler trotzdem informiert zu werden. Das sind nur einige Beispiele.

Kann als Fazit gesagt werden, dass die Gesellschaft ungenügend auf Altersdiskriminierung sensibilisiert ist?

Ja. Das Alter wird vorwiegend über Defizite und als Kostenfaktor wahrgenommen. Die Leistungen der Alten in der Freiwilligen- und Care-Arbeit, also in der Betreuung von Enkelkindern und noch älteren Angehörigen im Wert von Milliarden von Franken pro Jahr, werden zu wenig gewürdigt.

Gibt es in Appenzell Ausserrhoden ein Beratungsangebot zum Thema?

Soweit ich weiss, gibt es keine spezielle Anlaufstelle zum Thema Altersdiskriminierung. Die Organisationen Pro Senectute unterstützt und berät Personen der älteren Generation. Der Verband für Seniorenfragen St.Gallen-Appenzell setzt sich für Themen ein, die Seniorinnen und Senioren betreffen.

Besteht aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf im Kanton?

In der kantonalen Verwaltung sollte es im Gesundheits- oder im Departement des Innern eine Abteilung «Alter» und in den Gemeinden einen Altersverantwortlichen oder eine Koordinationsstelle «Alter» geben. Das könnte beispielsweise auch in Zusammenarbeit mit der Pro Senectute organisiert werden. Ein kantonales Altersleitbild mit breiter Mitwirkung, auch von Seniorinnen und Senioren und deren Organisationen, kann zu einer guten Alterspolitik beitragen.

Was kann die Gesellschaft besser machen?

Der direkte Austausch zwischen den Generationen, auch mit den Verantwortlichen in der Gesellschaft und in der Politik, sollte durch geeignete Angebote und Projekte mehr gefördert werden. Denn: Alle werden einmal alt.

Wie können Betroffene Diskriminierungshürden abschaffen helfen?

Indem sie sich engagieren und einbringen.

Was wird unternommen, damit Seniorinnen und Senioren nicht ausgeschlossen werden?

Netzwerke mit Spitex, Kirchen, Freiwilligen, Pro Senectute etc. können gemeinsam Ideen entwickeln, wie Seniorinnen und Senioren besser in das soziale Leben eingebunden werden können. Gemeinden können die Infrastruktur im öffentlichen Raum altersfreundlicher gestalten, um älteren Menschen das Bewegen draussen gefahrlos zu ermöglichen – etwa mit Sitzbänken, Geländern, abgesenkten Randsteinen, sicheren Strassenübergängen, guter Beleuchtung oder Spielplätzen als Begegnungsorten.

Davon würden ohnehin alle profitieren, oder?

Ja. Denn generell kann man sagen: Eine altersfreundliche Gestaltung aller Lebensbereiche dient nicht nur den Alten, sondern auch Behinderten oder Familien mit Kindern, also der ganzen Gesellschaft – und verbessert den sozialen Zusammenhalt.

Die Fragen stellte Matthias Brülisauer.

Matthias Bruelisauer

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