Sorgen drücken auf die Stimmung, Streit entbrennt und gerät ausser Kontrolle. Wenn es in den eigenen vier Wänden kracht, hilft oft nur Distanz.
Seit etwa drei Jahren verzeichnet das Frauenhaus St.Gallen sehr viele Anfragen von Frauen in Not. «Wir gehen davon aus, dass die Weltlage einen grossen Einfluss auf Streit und Gewalt zuhause hat. Zuerst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg und infolgedessen steigende Preise usw. Dies alles löst Ängste aus und verunsichert die Menschen zusätzlich», sagt Silvia Vetsch, Geschäftsleiterin des Frauenhauses St.Gallen, das auch Gewaltgefährdeten aus dem Appenzellerland täglich rund um die Uhr offensteht.
Wenn das Sorgenbarometer explodiert
Neben schlechten Nachrichten kann der Haussegen auch unter saisonalen Schwankungen leiden. «Die dunkle Jahreszeit kann vermehrt zu depressiven Verstimmungen führen. Je mehr Probleme dazu kommen, wie Geldsorgen, steigende Preise, Verlust der Arbeit, Pensionierung usw., desto eher kann auch die Stimmung im Haushalt kippen. Zudem können natürlich auch Probleme mit Alkohol, Drogen usw. die Situation verschärfen», erklärt Vetsch.
Reibereien lassen sich im Zusammenleben kaum vermeiden und sind gesund, solange sie im Rahmen bleiben. Das hebt auch Vetsch hervor: «Wir gehen davon aus, dass Streiten in einer Beziehung wichtig sein kann. Die rote Linie ist jedoch überschritten, wenn es zu körperlichen Angriffen, sexueller Gewalt oder schwerer psychischer Gewalt kommt – im Sinn von ‹du wirst schon sehen, was dann passiert› oder ‹wenn du das tust, bringe ich dich um›.»
Ein schützendes Umfeld
Im Frauenhaus können sich Frauen ab 18 Jahren mit und ohne Kinder melden, die aufgrund einer akuten Gefährdung im häuslichen Bereich Schutz, Unterkunft, Beratung und Begleitung benötigen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt etwa 33 Tage. In der Regel dauert der Aufenthalt so lange wie nötig, bzw. solange eine Gefährdung besteht. Von häuslicher Gewalt betroffene Männer müssen etwas weiter, um ein ähnliches Angebot beanspruchen zu können: Es gibt Männerhäuser in Zürich, Bern und Luzern. Für eine kostenlose ambulante Beratung im Bereich häusliche Gewalt kann man sich unabhängig vom Geschlecht bei der Opferhilfe SG-AR-AI (www.ohsg.ch) melden.
Streit kennt keine Standesunterschiede
Häusliche Gewalt wird in allen Bevölkerungsgruppen erlebt. «Es gibt keinen Unterschied zwischen den Gesellschaftsschichten. Es gibt aber Schichten, die sind sehr viel auffälliger als andere. So wird in einem Quartier mit einem hohen Arbeiter- und Ausländeranteil eher die Polizei gerufen als in der noblen Einfamilienhaussiedlung», sagt Vetsch. Für Frauen mit finanziellen und gesellschaftlichen Ressourcen sei es einfacher und unauffälliger, sich Hilfe zu organisieren. Ebenso sei es für Schweizerinnen einfacher, weil sie sich besser auskennen oder Rückhalt bei Familienangehörigen in ihrer Nähe haben, als für Migrantinnen, die kaum Deutsch sprechen, so Vetsch weiter.
Respekt und Ruhe bewahren
Einfache Rezepte, um Streitigkeiten gar nicht erst entstehen zu lassen, gibt es nicht – und sind auch nicht nötig. Denn wie erwähnt, müssen Reibereien nicht per se schlecht sein. Die Geschäftsleiterin des Frauenhauses bringt es auf den Punkt: «Wir denken, dass es wichtig ist, beim Streiten Grenzen einhalten zu können. Also mit Respekt vor dem Gegenüber etwas verbal austragen. Denn wir sind ja nicht immer einer Meinung und müssen es auch nicht sein. Und vielleicht muss ich erst mal durchatmen, bevor ich etwas sage, was ich später bereue.»
An Problemen kann man arbeiten
Nach einer Eskalation bleibt manchmal nur die Trennung als letzte Möglichkeit, dem Unheil zu entfliehen. Vor allem dann, wenn ein Teil so schwer verletzt wurde, dass nur noch Angst und Panik übrig sind. Wenn beide Parteien, sowohl gewaltbetroffene wie gewaltausübende, Unterstützung in Anspruch nehmen, die gewaltausübende Personen vielleicht sogar ein Lernprogramm absolviert, gebe es eventuell eine Chance für die Beziehung, so Vetsch. Ihr Fazit: «Dafür müssen gewaltausübende Personen es aber wirklich ernst meinen, an ihrer Problematik arbeiten und lernen, dass Probleme nicht mit Gewalt gelöst werden können.»