Man kann nur sich und seine Muster ändern, nicht sein Gegenüber. Mediatorinnen und Mediatoren helfen, das Verständnis füreinander zu fördern.
Ein Streit ist rasch vom Zaun gebrochen. Die Lösung des Konflikts gestaltet sich dann meist ungleich schwieriger. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, weiss die Mediatorin Annette Joos. Die 64-jährige Juristin und Stiftungsrätin der Pro Senectute Appenzell Ausserrhoden begleitet bei Differenzen. In einem Interview mit dem p.s.-Magazin spricht sie über ihre Erfahrungen.
Frau Joos, wie und wann kamen Sie dazu, Mediatorin zu werden?
Nach der Geburt unseres zweiten Kindes wünschte ich mir einen beruflichen Wiedereinstieg. Ich wollte jedoch nicht mehr in den Alltag als Gerichtsschreiberin zurückkehren, sondern etwas Neues lernen. Gute Bekannte erzählten mir von der Mediationsausbildung, die damals noch sehr neu war in der Schweiz. So absolvierte ich in Basel von 1993 bis 1995 einen Lehrgang.
Was ist Mediation?
Mediation ist ein Konfliktlösungsmodell. Zentral bei der Mediation ist, dass die Beteiligten die Lösung ihres Konfliktes selbst an die Hand nehmen und die inhaltliche Verantwortung tragen. Mediatorinnen und Mediatoren begleiten und strukturieren den Prozess, tragen aber materiell nicht zur Lösungsfindung bei.
Wie läuft eine Mediation ab?
Wichtig ist, dass bei einer Mediation alle an einem Konflikt beteiligten Personen teilnehmen. Sie sollten dies freiwillig tun, im Bestreben eine einvernehmliche Lösung zu finden. Jedes von den Teilnehmenden gewählte Konfliktthema wird vertieft, indem die Mediatorin oder der Mediator nach den Bedürfnissen der Involvierten fragt. Anschliessend entwickeln die Medianden «brainstormartig» Lösungsvarianten. In einer Verhandlungsrunde werden die Ideen vertieft und verhandelt bis eine Lösung gefunden ist, der alle Beteiligten zustimmen können. Das Ergebnis wird in einer schriftlichen Vereinbarung, die ein rechtsgültiger Vertrag zwischen den Beteiligten ist, festgehalten und von allen unterzeichnet.
Wo stösst Mediation an Grenzen?
Mediation ist grundsätzlich für alle Personen geeignet, die eine Mediation machen wollen. Gerichte und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden dürfen Mediationen auch anordnen. Grenzen können psychische Erkrankungen von Beteiligten bilden. Wenn spürbar wird, dass sich eine Person auch mit Unterstützung der Mediatorinnen und Mediatoren nicht angemessen selbst vertreten kann, sollte ein anderer Weg für die Lösung des Konflikts gesucht werden.
Mit was für Streitigkeiten sind Seniorinnen und Senioren am häufigsten konfrontiert?
Aus meiner Erfahrung sind Seniorinnen und Senioren am häufigsten mit Familienkonflikten belastet, wie etwa Trennung, Scheidung oder Erbstreitigkeiten. Es gibt aber auch Nachbarschaftskonflikte oder Unternehmensnachfolgeprobleme, in die Seniorinnen und Senioren involviert sind.
Worüber wird in Familien vorwiegend gestritten?
Die Finanzen der Familie sind häufig ein Streitthema oder die Betreuung der Kinder, wenn die Haushalte der Eltern getrennt werden, aber auch die Kommunikation zwischen Paaren oder von Eltern mit Kindern.
Angenommen es kam zu einem Kontaktabbruch zwischen Eltern und erwachsenem Kind, kann Mediation die Situation klären und das Verhältnis kitten?
Falls Eltern und Kinder dies freiwillig möchten, ist die Chance gross, dass mit einer Mediation eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann. Es ist auch möglich, Kinder, die nicht an einer Mediation teilnehmen wollen, virtuell, beispielsweise mit einem Stuhl als Symbol, einzubeziehen und eine Veränderung der Beziehung zu erreichen.
Wie führen Sie Konfliktparteien einander zu?
Meist sind die Beteiligten motiviert, gemeinsam eine Lösung für ihren Konflikt zu finden. In der Mediation wird das gegenseitige Verständnis durch spezielle Techniken gefördert, gleichzeitig wird auch die Autonomie der Medianden gestärkt. Sich selbst verstehen, aber auch der anderen Person Verständnis entgegenbringen, ist ein Schlüssel in der Mediation. Wichtig ist, dass die Beteiligten erkennen, dass sie nur sich selbst und die eigenen Muster ändern können, nicht jedoch die anderen Menschen.
Wie gehen Sie vor, wenn das Gespräch verweigert wird?
Eine vollständige Gesprächsverweigerung erleben wir selten. Oft gibt es aber Leute, die motiviert werden müssen, aktiver mitzumachen und mehr zu sprechen. Denn es ist in einer Mediation wichtig, dass die Beteiligten ungefähr gleich viel Gesprächszeit erhalten. Wenn jemand kaum redet und sich verweigert, versuchen wir die Vorteile des Verfahrens und der Lösungsfindung mit Mediation aufzuzeigen oder besprechen alternative Möglichkeiten der Lösungsfindung.
Was war Ihr eindrücklichster Fall?
Ich habe sehr viele eindrückliche und beeindruckende Mediationen erlebt, während denen die Menschen grosse Entwicklungsschritte machten. Spontan erinnere ich mich an ein älteres Paar, das sich sehr schwer tat mit der Trennung bzw. Scheidung. Die Leute kamen mehr als drei Jahre monatlich in die Mediation, es war sehr berührend zu sehen, wie die beiden rangen und sich über die ganze Zeit sehr liebevoll begegneten.
Einmal haben wir ein Paar unterstützt, eine Scheidungskonvention auszuarbeiten. Kaum war das Gerichtsverfahren vorüber und die Leute geschieden, rief mich die Frau ganz verzweifelt an und sagte, sie hätten den grössten Fehler ihres Lebens gemacht. Ein paar Monate später war das Paar wieder verheiratet.
Wie hoch sind die Chancen auf eine erfolgreiche Beilegung eines Konflikts?
Bei freiwilligen Mediationen sind die Chancen hoch, dass ein Konflikt ganz oder zumindest teilweise gelöst werden kann. Bei angeordneten Mediationen sind die Erfolgsaussichten geringer, wobei auch in diesen Fällen Teillösungen oder Verbesserungen der Situation häufig sind.
Was kostet eine Mediation?
Die Kosten sind je nach Ort und Angebot unterschiedlich. Bei uns im Mediationsteam St.Gallen haben wir Stundenansätze nach Einkommen zwischen 180 und 350 Franken für eine Co-Mediation. Arbeiten wir allein liegen die Ansätze zwischen 150 bis 250 Franken. Es ist uns ein Anliegen, dass auch Personen mit tiefen Einkommen Mediation in Anspruch nehmen können, daher bieten wir auch spezielle Lösungen an für diese Personen.
Was kann man tun, dass ein Streit sich gar nicht erst so weit auswächst, dass Hilfe in Anspruch genommen werden muss?
Belastende Themen (früh) ansprechen, aktiv zuhören, offen sein, Ich-Botschaften nutzen, sich selbst und das eigene Verhalten hinterfragen und allenfalls anpassen und nicht die andere Person ändern wollen.