Seniorinnen und Senioren engagieren sich bei der Integration von Flüchtlingen. Als Freiwillige üben sie mit ihnen das Lesen und die Aussprache. Denn die Sprache ist der Türöffner in allen Lebensbereichen.
Aufmerksamen Lesern des Pro Senectute-Magazins dürfte nicht entgangen sein, dass in der Februar-Ausgabe «LeSeniorinnen oder LeSenioren» gesucht wurden. Hinter dem kreativen Wortspiel steckt ein Pilotprojekt der Schule «rheinspringen», das Flüchtlinge mit Rentnerinnen und Rentnern zusammenbringt. Ziel ist, Hürden abzubauen, welche die deutsche Sprache mit ihren zahlreichen Tücken bereithält.
Ein Schritt in die Arbeitswelt
Eine der Freiwilligen, die sich gemeldet haben, ist Bernadette Staubli. Sie nimmt sich jeweils einmal in der Woche eine Stunde Zeit, um in St.Gallen mit jemandem aus einer Integrationsklasse das Lesen zu üben. Dies ganz im Geist der Weiterbildungsinstitution, die sich auf die Fahne geschrieben hat, Jugendliche und junge Erwachsene auf ihrem Weg in die Arbeitswelt zu unterstützen. Unter anderem bedeutet das, jungen Geflüchteten aus unterschiedlichen Ländern Deutschkenntnisse zu vermitteln, damit sie eine Ausbildung absolvieren und im Schweizer Arbeitsmarkt Fuss fassen können.
Kulturen kennenlernen
Bernadette jedoch kommt nicht aus dem pädagogischen Bereich – das ist auch überhaupt keine Bedingung, um sich als LeSeniorin zu engagieren. Bis letztes Jahr war sie als Pflegefachfrau im Kantonsspital St.Gallen tätig und ist, wie sie selber sagt, ohne fixen Plan in die Pension gegangen. «Ich wollte einfach offen sein und schauen was kommt», erzählt sie im Rückblick. Eines Tages sei ihr dann ein Prospekt mit dem Aufruf «Gesucht: Freiwillige LeSenior*innen» ins Auge gesprungen. «Moll, das isch das, woni jetzt möcht mache», habe sie gedacht und freut sich heute über ihren Entscheid: «Es ist super, einmal etwas völlig anderes zu tun und jemanden unterstützen zu dürfen.» Neben ihren Hobbies, zu denen sie auch die Grosskinder zählt, könne sie so der Gesellschaft etwas geben – «zwar nur ein ‹Brösmeli›, doch wenn alle ein ‹Brösmeli› leisten, gibt es doch etwas ganz Grosses», sagt Bernadette. Eine weitere Leidenschaft der sozial engagierten Rentnerin ist das Reisen. Fasziniert von fremden Kulturen hat sie schon immer gerne ferne Länder besucht. Dank ihrem «Pensionsämtli» hat sie nun eine weitere Gelegenheit, Einblicke in andere Kulturen zu gewinnen.
Auf die Menge kommts nicht an
Doch wie läuft eine Lesestunde ab? «In der Regel kommt ein Schüler mit Schreibmaterial und Lesestoff zu mir in ein separates Zimmer. Die Grundidee ist dann, dass der Schüler aus dem Heft oder Buch, das die Lehrperson ausgewählt hat, etwas vorliest und ich bei Aussprache und Verständnis behilflich bin», erklärt Bernadette und fährt fort: «Schön ist, dass wir keine Vorgaben bekommen, wie viel gelesen werden muss. Wir dürfen zur Abwechslung auch einmal in einer Zeitung blättern oder einfach ein Gespräch führen.» Die meisten seien mit Freude bei der Sache – und das erst recht, wenn man weiss, wofür sich das Gegenüber interessiert. «Einer meiner Schüler hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Bis ich herausgefunden habe, dass er sich für die Metallverarbeitung begeistern kann. Beim Thema, wie Senntumschellen hergestellt werden, ist er dann richtig in Fahrt gekommen», schmunzelt Bernadette.
Die Lektüre kann heikel sein
Doch längst nicht alle Themen sind so «harmlos». Einmal habe sie geradezu Berührungsangst mit dem Lesestoff gehabt, als ein Schüler einen Krimi mitgebracht habe. «Ich war unsicher, ob man mit einem Flüchtling über Mord und Totschlag lesen kann, ohne ein Trauma zu wecken.» Sie liess sich darum von der Lehrerin versichern, dass die Lektüre kein Problem darstellt. Und die Pädagogin sollte recht behalten: Das Buch hat keine alten Wunden aufgerissen. Doch sensibel zu sein, lohne sich allemal, so Bernadette. Im Austausch ist ihr wichtig, Interesse am Gegenüber zu zeigen, aber nicht zu «bohren» um kein seelisches Leid zu verursachen. Generell achtet sie auf eine gesunde Distanz und bleibt bei persönlichen Themen auf Abstand. Das ist etwas, das sie schon als Pflegefachfrau lernen musste. Ausserdem hatten Geflüchtete, die den Schweizer Asylgesuch-Prozess durchlaufen haben, ihre Geschichte ohnehin immer wieder zu erzählen. Daher will «rheinspringen» ein Ort sein, an dem Schülerinnen und Schüler möglichst unbelastet an ihrer Zukunft arbeiten können.
Ein gelungener Start
Verantwortlich für das Pilotprojekt «LeSenior*innen» ist Sylvie Dardel, Jobcoach und Sozialpädagogin. «Bislang haben wir ganz gute Erfahrungen mit dem Angebot gemacht», freut sie sich und weiter: «Wir wurden ein bisschen überwältigt von den Anfragen möglicher LeSeniorinnen und LeSenioren für Lesestunden.» Laut Dardel wird die Pilotphase, die letzten März begonnen hat, also bestimmt verlängert, solange Interesse besteht: «Sowohl die LeSenioren wie auch die Schülerinnen und Schüler geben positive Rückmeldungen und sind motiviert. Wir sind auf dem richtigen Weg.»